Wie sicher ist eigentlich sicher?

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Von der Schwierigkeit, in schwierigen Zeiten über das Thema Sicherheit zu schreiben

Das Titelthema unserer aktuellen Ausgabe lautet „Sicherheit“. Ein ganz wichtiges Bedürfnis für unser Leben. Einerseits. Aber auch ein Zustand, der sich von heut auf morgen ändern kann, wie uns vor zweieinhalb Jahren der Ausbruch der Corona-Pandemie und zuletzt vor allem der Krieg Russlands gegen die Ukraine gezeigt haben mit all ihren unkalkulierbaren Folgen.

Vielleicht gab es seit der Generation der heute 80-jährigen, die Krieg, Not und Hunger überlebt und erlitten haben in ihrer Kindheit niemanden mehr in Deutschland, der das Fehlen von Sicherheit und die Sorgen, die Unsicherheit uns bereitet, so deutlich gespürt hat, wie wir es dieser Tage tun. Dabei lohnt es sich, einen Schritt zur Seite zu machen und festzustellen: Noch ist unsere Sicherheit gegeben. Noch sind nicht wir es, die ihr Hab und Gut von den Schergen eines machtgeilen Despoten zerbombt bekommen. Noch müssen wir lediglich befürchten, dass die Heizung und der Strom knapp und teuer werden. Das ist schlimm. Aber es kostet – nur – Geld, nicht unsere Leben.

Beobachtet man aber viele der öffentlichen Debatten der vergangenen Monate in Deutschland, so scheint das Bewusstsein für die relativ große Sicherheit und Freiheit, in der wir unser Leben nach wie vor genießen können, noch nicht in allen Köpfen angekommen zu sein. Bis zu einem gewissen Grad ist das sogar nachvollziehbar: Die Kriegsschrecken betreffen uns nur indirekt. Und Sparen und Verzicht passen nicht in unser Weltbild nach so vielen Jahrzehnten im zumeist übersatten Wohlstand. Dazu kommt, dass radikale politische Kräfte in Deutschland, denen es lang an einem Aufreger-Thema gemangelt hat und die noch dazu den Despoten an der Moskwa insgeheim verehren, nun versuchen, aus der aktuellen Lage Profit zu schlagen. Die Freiheit und Sicherheit in der wir leben wird ausgerechnet durch diejenigen weiter gefährdet, die stets von sich behaupten, mehr als alle anderen für ihren – vermeintlichen – Freiheits- und Sicherheitsbegriff einzustehen. Man darf ihnen nicht auf den Leim gehen.

Aber schauen wir noch einmal auf das Wort Sicherheit: Blickt man auf die Wurzeln des Worts im Lateinischen, so bedeutet „Securitas“, das man „frei von Sorge“ leben kann. Ein schöner, alle Lebensbereiche umfassender Begriff: Ohne den Klimawandel könnten wir frei von der Sorge leben, künftig im Sommer die Trockenheit und Hitze nicht mehr ertragen zu können. Vom Einbrecher über die ansteckende Krankheit bis hin zur Furcht vor Krieg und Not, es gibt kaum ein Thema unserer Zeit, bei dem wir nicht lieber „frei von Sorge“ wären. Gegen manche dieser Sorgen kann man etwas tun: Man kann im Alltag darauf achten, dass die Fenster daheim so einbruchsicher wie möglich sind. Man kann Gesundheitsvorsorge für sich und seine Lieben betreiben und öfter mal fürs Klima das Auto stehen lassen. Man kann Demokraten wählen, nicht Populisten. Alles Dinge, die unser Leben sicherer zu machen vermögen.

Aber reicht das? Und vor allem: Wollen wir das alles? Sicherheit sei immer relativ, sagen uns Experten. Gegen ein schweres Erdbeben kann man sich nicht absichern vorher. Und unser Wunsch, sicher vor schweren Erkrankungen zu sein, ändert nichts daran, dass wir irgendwann eben doch alt und krank sein und sterben werden. Wenn ein Einbrecher unbedingt in deine Wohnung will, dann kommt er da auch rein, weiß jeder Sicherheitsberater bei der Polizei. Und manches haben wir schlicht nicht in der Hand: So hat der Autobauer Mercedes Benz unlängst mitgeteilt, dass er im vergangenen Jahr bei Razzien bei Produktfälschern mehr als 1,8 Millionen gefälschte Autoteile hat sicherstellen lassen. Man will lieber nicht darüber nachdenken, welch riesiger Graumarkt sich hinter so einer Zahl verbirgt und wie viel Unsicherheit solche Fälschungen in unser Leben bringen, wenn sie irgendwo verbaut werden. Gehandelt wird der Fälscher-Schrott übrigens im Internet. Und die Frage nach mehr Sicherheit und weniger Betrug im Online-Handel würde an dieser Stelle jeden Rahmen sprengen. Sicher ist indes: Wenn irgendwas irgendwo zum Spottpreis angeboten wird und trotzdem „neu und original“ sein soll, dann kann da schnell mal der Wurm drin stecken.

Aber auch politisch steckt eine Tücke im Gedanken an die Sicherheit: Denn leicht können Sicherheit und Überwachung Hand in Hand gehen, und der Wunsch nach Sicherheit kann flott zum Fluch des Polizeistaats und zum Sargnagel der Freiheit werden. Millionen Menschen in unserem Land haben dies bis zur Wende hautnah im Spitzelstaat DDR erleiden müssen, wo bald auf jeden Bürger ein Nachbar kam, der sich sein Taschengeld als Stasi-Spion aufgebessert hat. Sicherheit und Freiheit, sie bewegen sich in einem Spannungsfeld. Nicht umsonst gab es im alten China das Sprichwort, dass diejenige Tür die sicherste sei, die man getrost offen lassen kann. Aber die alten Chinesen wussten eben auch, dass es absolute Sicherheit nicht geben kann, wie das alte Sprichwort beweist, wonach selbst das dickste Seil an einem dünnen Faden irgendwann zu faulen beginnt. Man sieht: Über Sicherheit zu schreiben, ist immer schon nicht einfach gewesen. (RD)

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