Wie wir unsere Kreativität entdecken, fördern und ausbauen können
Das klingt ja erst einmal total trocken: Schaut man im (annähernd) allwissenden Internet-Lexikon Wikipedia nach dem Begriff der Kreativität, dann steht da, dass diese die Fähigkeit sei, „etwas zu erschaffen, was neu oder originell und dabei nützlich oder brauchbar ist.“ Soso. Und was bedeutet das nun für jeden von uns konkret? Offenbar eine Menge, denn einer 2019 erschienen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „innofact“ zufolge, sind ziemlich genau zwei Drittel der Deutschen regelmäßig kreativ tätig, die Hälfte davon sogar einmal in der Woche. Und etwa genauso viele sind demnach mit Bastelarbeiten, Zeichnen oder Malen kreativ. Musizieren und Fotografie nannten aber auch viele Kreative. Wobei auffiel, dass die Kreativität offenbar in Haushalten mit Kind höher liegt als in kinderlosen Haushalten.
Es gehe den Menschen dabei „besonders um Spaß, Entspannung und Ausgleich zum Alltag“, so die Meinungsforscher. Nur 13 Prozent der 1.000 Erwachsenen, die gefragt wurden, musste einräumen, im Grunde eigentlich nie oder so gut wie nie irgendwas mit Kreativität zu treiben. Vor allem, weil sie keine Ideen dafür hätten, so die Umfrage. Interessant dabei: Die allermeisten Nicht-Kreativen könnten sich durchaus mehr sprudelnde Ideen für sich selbst vorstellen, wenn man ihnen ein wenig zur Seite stehen würde dabei.
Dafür braucht man allerdings ein wenig Geduld, denn Kreativität ist in der Regel ein Prozess. Mit einer Idee – und sei sie noch so genial, brillant oder skurril – allein ist es nicht getan, man muss sie auch umsetzen. Das ist dann kreativ. Dieser Weg beginnt häufig damit, dass man sich Ideen notiert, diese dann konkretisiert, verwirft, ändert oder ergänzt. Und dann erst geht es an die Arbeit. Experten wissen: Bei so einem kreativen Prozess passieren Fehler. Ein Reim sitzt nicht, wo er hingehört, einer Geschichte fehlt noch ein zündendes Element, einem Lied die passende Melodie im zweiten Teil. Solche Sachen. Die gehören dazu, und das sollte man akzeptieren, wenn man sich kreativ betätigen will. Und bloß nicht auf irgendwelche Leute hören, die meinen, dass man das ja eh nie schaffen wird.
Glück gehört auch dazu: Keith Richards von den Rolling Stones hat mal behauptet, dass er den Hit „Satisfaction“ der Band geträumt habe. Das mag zwar stimmen, aber er hat sich natürlich vorher auch ausgiebig mit der Kreativität anderer Blues- und Rockmusiker beschäftigt. Das hat ihn sicher motiviert, denn er schrieb den Song ja auch in einem kreativen Umfeld, das von einer Aufbruchstimmung und Neugierde besonderen Ausmaßes geprägt war. Musiker tauschten sich untereinander aus, das Milieu stimmte im „swingenden London“ der Sechzigerjahre. Und vielleicht ist auch was dran, dass Kreativität größer ist, wenn man als Künstler „hungrig“ ist. Nach Erfolg und Anerkennung, aber sicher auch nach einer warmen Mahlzeit. Oder um nochmals die Rolling Stones zu bemühen: Als die ihre Multimillionen verdient hatten, wurden die Hits ja auch eher weniger.
Man muss aber nicht auf Diät gehen, um die eigene Kreativität zu beflügeln: Schaut man sich an, wie Kinder ihre Kreativität entwickeln, dann hat das auch nichts mit Hunger zu tun. Aber mit Reduktion manchmal schon: ein Überangebot vorgefertigter Spielsachen ist im Grunde für die Kleinen weit weniger spannend als ein Stift und ein Blatt Papier, auf dem man sich ausprobieren und Eigenes erschaffen kann. Lässt man Kindern zudem ein wenig freie Hand bei der Wahl der Mittel, mit denen sie kreativ werden wollen, so finden sich manche Dinge nahezu automatisch. Nicht jeder kleine Bub muss einmal später ein virtuoser Pianist werden. Vor allem wenn er schon im Kindergarten weniger an Musik als am Kochen interessiert zu sein scheint. Kreativität lebt auch von den Neigungen, die wir mitbringen und im Lauf des Lebens entwickeln und fördern können. Nichts ist schlimmer, als eine unterdrückte kreative Ader.
Eltern können da sehr hilfreich sein: indem sie sich von der Kreativität ihrer Kinder anstecken lassen und sie nicht zu sehr zu kanalisieren versuchen. Indem sie eigene Ideen und Kreativität vorleben und so vielleicht auch zur Nachahmung anspornen. Und indem sie wissen, wann sie sich mal aus einem Spiel verabschieden und die Kleinen ihren Instinkten folgen lassen sollten. Kreativität braucht Freiraum, nicht nur Anleitung. Jeder Pädagoge weiß das.
Wenn wir unsere eigene Kreativität nicht mehr spüren, aber gern etwas Kreatives leisten wollen, dann kann das viele Gründe haben. Übertriebener Perfektionismus ist ein „Killer“ für die Kreativität. Zu viel Routine aber auch. Der Kölner Kommunikationswissenschaftler Johannes Haupt hat das in einem Fachartikel auf dem Portal www.lernen.net einmal so umschrieben: „Um deine Kreativität zu trainieren, kannst du im Alltag damit beginnen.“ Haupt schlägt kleine Veränderungen vor in der Alltagsroutine, um nicht geistig einzurosten. Er rät, in sich zu gehen und herauszufinden, was einen antreibt im Leben, ohne sich dabei von Unsicherheiten abschrecken zu lassen und stattdessen mit mehr Flexibilität durchs Leben zu gehen. Und sich nicht von Perfektionismus, Zeitdruck und Mutlosigkeit ausbremsen zu lassen.
Ralf Deckert