Freddy Schissler
Kolumnist / Autor

Ein etwas zu großes Homeoffice-Bäuchlein, die richtige Kleiderwahl bei Konzerten oder misslungene Webinare – es sind stets die alltäglichen Dinge, mit denen sich unser Kolumnist Freddy Schissler auf witzige und skurile Weise beschäftigt.

Kneipp sei Dank

Die deutsche Sprache ist wie ein Schatzkästchen. Es gibt Worte, die ähneln Kostbarkeiten. Die erzeugen im Körper Reaktionen, wenn man sie leise vor sich hinsagt. Nehmen wir Begriffe wie kuschelig, heimelig oder Sonnenbaden. Bei mir ist das so: Lese ich das Wort kuschelig, denke ich an Wärme, an Geborgenheit und ich habe mich schon dabei ertappt, wie ferngesteuert den Pullover auszuziehen und nur noch im T-Shirt dazusitzen.

Es gibt freilich auch das Gegenteil. Schließen Sie die Augen und lassen das Wort Eistonne über ihre Lippen huschen. Na? Wie fühlt sich das an? Mich, ehrlich gesagt, fröstelt es. Und vermutlich lief auch jenem ZDF-Reporter ein kühler Schauer über den Rücken, der 2014 nach einem Spiel der Fußball-WM den Spieler Per Mertesacker mit kritischen Fragen konfrontierte und die patzige Antwort bekam: „Wat wollen Se jetzt? Ich verstehe die ganze Fragerei nicht…unfassbar, der Kerl…ich lege mich jetzt drei Tage in die Eistonne.“ Klingt alles andere als nach menschlicher Wärme.

Meine Frau und ich sind unlängst am Ende einer tollen Bergtour gewesen – blauer Himmel, wohlig-warme Temperaturen, leckere Brotzeit, spritzige Getränke – plötzlich wie aus dem Nichts die Aufforderung: „Lass uns dort vorne ins Kneipp-Becken steigen.“

Kneipp-Becken: Das Wort bohrte sich in den Gehörgang meines Ohrs, und ich merkte, wie sich die Haare auf meinem Unterarm aufstellten, wie sich die Oberfläche zur Gänsehaut formte. Wie auf Knopfdruck tauchten Bilder vor meinem geistigen Auge auf. Füße, die zu kribbeln beginnen und eine leicht bläuliche Farbe annehmen. Ein Gesicht, aus dem von einem Moment auf den anderen das Heitere entschwindet und einer schmerzhaften Schwermütigkeit weicht. Eine Nackenmuskulatur, die sich zusammenzieht und in Sekundenschnelle Schulter- und Rückenschmerzen verursacht. Augen, die tränen.

Was nur hatte ich meiner Frau getan? Schlummerte da möglicherweise die Revanche für eine unüberlegte Bemerkung aus der vergangenen Woche? Immerhin griff sie gefühlvoll nach meiner Hand, murmelte etwas von „Kreislauf anregen und arterielle Durchblutung fördern“ und dass der Kältereiz total ungefährlich sei und vielmehr die oberflächlichen Blutgefäße kontrahiere, dass das Wassertreten nach Kneipp gut gegen Krampfadern sei und zudem das Einschlafen begünstige. „Glaub mir Schatz“, sagte sie, während sie mich an der Hand Richtung Kneippbecken zog, „du wirst schlafen wie ein Engel.“

Was soll ich sagen? Nur Sekunden nachdem ich das kalte Wasser verlassen hatte, machte sich eine wohlige Wärme in Füßen und Beinen breit. Das Lächeln kehrte zurück, ich stand trotz Rucksack auf dem Rücken aufrecht neben dem Becken und mir schossen wahre Kostbarkeiten der deutschen Sprache durch den Kopf – Begriffe wie: kraftstrotzend, belastungsfähig, erquickend; Ausdrücke wie „Mit breiter Brust“ und „Wie neu geboren.“

Die Worte Wassertreten und Eistonne, keine Übertreibung, gehören für mich seither zu den Juwelen deutscher Sprache. Kneipp sei Dank!

Freddy Schissler

RATGEBER REISEN UND LEBEN