Eine Katastrophe in Zeitlupe

freiburg
Fotos: Ralf Deckert

Seit 15 Jahren hebt sich die Erde unter der historischen Altstadt in Staufen

Gut gemeint ist am Ende nicht immer gut gemacht. In Staufen haben es alle gut gemeint, als der Gemeinderat 2007 einstimmig für die energetische Sanierung des historischen Rathauses stimmte. Mithilfe oberflächennaher Erdwärmesonden sollte das Gebäude perspektivisch nicht nur beheizt sondern auch klimatisiert werden. „Die Idee kam aus der Mitte des Gemeinderats“, berichtet Bürgermeister Michael Benitz (parteilos). „Alle fanden das gut.“ Doch dann kam es anders.

Zunächst lief alles wie am Schnürchen: Nach dem Gemeinderatsbeschluss und der positiven Voruntersuchung wurde das Projekt ausgeschrieben, die sieben Erdwärmesonden wurden hinter dem historischen Gebäude ins Erdreich gebohrt, und im September 2007 ging die Anlage in Betrieb. „Die ersten feinen Haarrisse wurden dann zwei Wochen später festgestellt“, erinnert Benitz sich. Erst habe man an Trocknungsschäden gedacht, dann aber habe sich auch in einer Schule 200 m vom Rathaus entfernt ein Riss in der Aula aufgetan. „Da wussten wir, dass da etwas im geologischen Bereich im Gang ist. Erst hat man geglaubt, dass ein Hohlraum eingebrochen sei und dass wir es mit Setzungsrissen zu tun haben.“ Bald jedoch war klar: Staufen sackt nicht ab. Im Gegenteil, detaillierte Messungen ergaben schnell: Die Altstadt hob sich mit einer Geschwindigkeit von 11 mm im Monat an. Wäre dies ungebrochen weitergegangen, so gäbe es die Altstadt heute nicht mehr, so Benitz.

Ein Gutachter versiegelte die Bohrbaustelle beim Rathaus, konnte aber nach einem halben Jahr kein eindeutiges Ergebnis vorlegen. In der geologischen Fachwelt wurde heiß debattiert, wie man die Hebungen stoppen und die Schäden, die bis heute 270 Gebäude in Staufen betreffen, einschränken könnte. „Letztlich haben wir die Sache in Staufen dann selbst in die Hand genommen.“ Aus Michael Benitz, dem Bürgermeister, wurde Michael Benitz, der unfreiwillige Amateur-Geologe: „Wir haben damals eine Erkundungsbohrung für 750.000 Euro beauftragt, die gezeigt hat, was Sache ist“, erklärt der Bürgermeister. „Durch die Erdwärme-Bohrungen konnte unter Druck stehendes Grundwasser in quellfähige Anhydrit-Schichten aufsteigen. Wenn Anhydrit mit Wasser in Berührung kommt, quillt er auf und wird zu Gips.“

Aus dieser Erkenntnis leitete man in Staufen mithilfe des Landesamts für Geologie in Freiburg und eines Ingenieurbüros aus Kirchzarten dann auch die Lösung des Problems ab: Zunächst wurden die undichten Erdwärmebohrungen mit Spezialzement verpresst und abgedichtet. Und dann wurden drei sogenannte Abwehrbrunnen mit Pumpen installiert. Die These dahinter: Wenn man mithilfe von Pumpen den Grundwasserspiegel künstlich absenkt, kann der Quellprozess verlangsamt werden, da kein Wasser mehr in den Anhydrit aufsteigen kann. Das Dumme dabei: Dieser Pumpbetrieb darf nie gestoppt werden, sonst drückt sofort wieder Wasser nach und sorgt für weitere Hebungen.

Benitz wurde in diesem Zusammenhang und angesichts einer geschätzten Schadenssumme von gut und gerne 50 Millionen Euro zudem klar: Wenn die Stadt versucht, auf dem Rechtsweg ihre Schäden beim Bohrunternehmen geltend zu machen, wird sie sich vor Gericht die Zähne daran ausbeißen. Weniger riskant und letztlich auch vom Gemeinderat mitgetragen war hingegen die Idee, den geschädigten Hausbesitzern mithilfe einer Schlichtungsstelle bei der Bewältigung ihrer Schäden zu helfen. Bis heute hat diese Schlichtungsstelle über 650 Anträge bearbeitet, einige der Geschädigten haben schon wiederholt erfolgreich Anträge gestellt und Hilfe bei der Rettung und Sanierung der Risse-Häuser in Staufen erhalten.

Lang gerungen wurde um die Frage, wer in Staufen die Zeche zahlen würde. Mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU) und den kommunalen Landesverbänden als Unterstützern konnte die Stadt in Stuttgart erreichen, dass das Land und die baden-württembergischen Städte und Gemeinden sich mit der Stadt Staufen 2014 schließlich auf eine 80 zu 20 Prozent-Lösung bei der Kostenübernahme einigten. Diese Regelung gilt für zunächst 30 Millionen Euro der Schadenssumme, rund sieben Millionen davon sind bis heute aufgebraucht. Plus die fünf Millionen, die die Risse schon vor der Kosteneinigung 2014 verschlungen haben. „Im Schnitt fehlen uns bis jetzt jedes Jahr 400.000 Euro im städtischen Haushalt“, so der Bürgermeister.  

Natürlich gab es immer wieder auch Irrwege, Tiefschläge und auch Kritik an Benitz und seinem Krisenmanagement: Zwei Hausbesitzer klagten gegen die Stadt, zogen später ihre Klagen aber zurück. In der Debatte um die Beendigung der Hebungen schlug ein Forscher vor, die Altstadt in 90 m Tiefe unterirdisch mit einer riesigen Ringmauer zu sichern. Und die Idee einer eigens eingerichteten „Staufen-Stiftung“ blieb wirtschaftlich hinter den Erwartungen zurück. „Aber die Stiftung hat uns geholfen, nicht aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verschwinden“, betont Michael Benitz. In Staufen sei „eine Katastrophe in Zeitlupe im Gange“, und so etwas vergesse man eben auch irgendwann. Seit 15 Jahren sei kein Tag im Büro vergangen, an dem er nicht mit den Folgen der Risse zu tun habe, so Michael Benitz.

Die Altstadt Staufens liegt heute 70 cm höher als 2007 und wurde durch die Risse um einen halben Meter in die Länge gezogen. Zwei städtische Gebäude mussten abgerissen werden, ein drittes muss ebenfalls weichen. Irgendwo müsse immer irgendwas repariert werden, so Benitz. Er sei dennoch kein Gegner der Geothermie geworden durch die Ereignisse in Staufen, so der Bürgermeister weiter. Die Rahmenbedingungen für oberflächennahe Anlagen wie in Staufen seien heute viel strenger. Und die Potenziale der Tiefengeothermie, die gerade im Rheintal untersucht werden, seien riesig. „Nur hier in Staufen muss keiner deshalb anfragen, weil das den Bürgern nicht zu vermitteln wäre.“ (RD)

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