In Freiburg hat der Bau des NS-Dokumentationszentrums begonnen
Die Baustelle ist geschichtsträchtig: Das einstige „Rotteckhaus“ in der Freiburger Innenstadt wird zu einem Gedenk- und Dokumentationsort über Freiburg in der NS-Zeit umgebaut. Als neue Abteilung der Museen der Stadt Freiburg soll es in eineinhalb Jahren seiner Bestimmung übergeben werden. Das Haus wurde 1936 als Verkehrsamt der Stadt nach Plänen des Architekten Joseph Schlippe erstmals eröffnet. Es ist das einzige Gebäude, das von den Plänen für einen nationalsozialistisch geprägten Umbau der Freiburger Innenstadt realisiert wurde. Und es zeigt, wie das NS-Regime schon Jahre vor Kriegsbeginn seine „Kriegsarchitektur“ plante: Oben ein nach außen hin weltoffenes Verkehrsamt, im Keller ein Luftschutzkeller mit riesigen Räumen für mehr als 150 Menschen und einer „Gasschleuse“, die im Fall des Falles vor Giftgas Angriffen schützen sollte.
Gäste, die vom Hauptbahnhof aus in die Stadt laufen, kommen nahezu zwangsläufig hier vorbei. Ein exponierter Ort also für ein wichtiges Projekt, wie auch Museums Leiterin Julia Wohlrab berichtet: „Man kann hier nicht nur die NS-Geschichte und ihre Propaganda erzählen, sondern auch anhand des Luftschutzkellers die frühen Kriegsvorbereitungen in den Dreißigern erläutern.“ Das Dokumentationszentrum wird dafür im Erdgeschoss auch die Vorgeschichte der Machtübernahme ab 1918 bis 1933 erzählen, so Wohlrab. Im Innenhof des alten Verkehrsamts wird zudem ein begehbarer Kubus errichtet, der die Namen der Freiburger Verfolgungsopfer der Nazis auflisten und ihre Lebensläufe anhand von Fotos beleuchten wird. „Es werden auch Fundamentsteine der Alten Synagoge hier im Hof als Gedenkstätte errichtet werden“, so Wohlrab weiter.
Die Steine wurden vor einigen Jahren im Zuge der Umgestaltung am Platz der alten Synagoge gefunden. Über die Art, wie sie als Ort des Gedenkens eingesetzt werden können, wurde damals in Freiburg heiß und emotional diskutiert. Das sei auch gut, sagt christoph Ebner: „Die Diskussionen um die NS-Diktatur in Freiburg haben in den vergangenen Jahren immer wieder Fahrt bekommen durch die Debatte über den Platz der Alten Synagoge, aber auch durch die Ausstellung über Freiburg in der NS-Zeit im Augustiner Museum vor einigen Jahren.“ Der Journalist Ebner ist Vorsitzender des Fördervereins, der im vergangenen Frühjahr gegründet wurde und der unter anderem Mittel für Bildungsprojekte rund um das Doku-Zentrum sammeln will. „Hier werden Schulklassen, die ja auch mal etwas lauter sind, auf Menschen treffen, die die Namen der NS-Opfer lesen und in deren Andenken an sie hier sein werden. Diese Auseinandersetzung wird dem Ort gut tun!“
Der Bau des NS-Dokumentationszentrums wurde vor fünf Jahren vom Freiburger Stadtrat einstimmig beschlossen. Das Projekt wird nach heutigem Stand rund 5 Millionen Euro kosten. „Da wird immer mal wieder die Frage gestellt, warum es so ein Zentrum und die Investition braucht“, so Julia Wohlrab. „Wir sehen aber auch, dass es in Europa einen Anstieg von rechten Tendenzen gibt und Rassismus und Antisemitismus immer noch Themen sind, gegen die wir uns gesellschaftlich einbringen müssen.“ Das Dokumentationszentrum erfülle hier eine Rolle, indem es einen Einblick in die Zeit vor 100 Jahren ermöglicht und zeigt, wie schnell politische Radikalisierung geschehen kann und „einer kompletten Entmenschlichung“ und somit letztlich der Shoah den Weg geebnet hat. „Freiburg, Südbaden und die Pfalz gehörten damals zu den Regionen im Deutschen Reich, die sehr, sehr früh und mit aller Konsequenz gegen Juden vorgegangen sind“, ergänzt Christoph Ebner. „Das Reich hat sich mit Sätzen wie ‚Freiburg ist judenfrei‘ regelrecht geschmückt. Die Mär vom ‚beschaulichen Freiburg‘ wird da schnell überholt.“
Konzeptionell wird im Dokumentationszentrum in Phasen vorgegangen: Die Zeit der Weimarer Republik bis zur Machtübernahme der Nazis findet im Erdgeschoss Platz. Im ehemaligen Luftschutzkeller werden die Jahre von 1933 bis 1938 in einem Raum, der Die Einrichtung der Diktatur in Freiburg in Gebäuden wie dem Rathaus, dem Regierungspräsidium oder dem Verkehrsamt beleuchtet. Und die Jahre von 1938 bis 1942 stehen in einem weiteren Raum auf dem Programm, der die Eskalation der Gewalt in Freiburg unter der NS-Herrschaft dokumentiert. „Es geht um die Geschichte der Euthanasie, der Verfolgung der Juden, Sinti und Roma und den Kriegsbeginn mit der Annexion des Elsass und Lothringens ab 1940.“ Im Obergeschoss werden in zwei weitere Abteilungen die Zeit zwischen 1942 und 1945 und ab 1945 bis heute dokumentiert. „Und zwar nicht nur mit Blick auf Freiburg sondern auf die angrenzende Region“, so Julia Wohlrab. Auch für Sonderausstellungen wird es im Obergeschoss des Zentrums Platz geben. Und die Landeszentrale für Politische Bildung wird ebenfalls hier einziehen. Eine Synergie, die ins Konzept passt, so Julia Wohlrab: Als Abteilung des Augustiner Museums stehe man schon jetzt im engen Austausch mit anderen Institutionen und Museen im Dreiländereck. „Mein Wunsch wäre es, die Potenziale jedes Gedenkortes zu nutzen und gemeinsam mit einer starken Stimme zu sprechen.“ Dafür soll das Haus schon jetzt auch in der Bevölkerung seinen Platz finden, ergänzt Christoph Ebner: Durch den Förderverein wolle man hier in Vorleistung gehen, damit man am Ende „nicht nur ein Museum“ sondern ein lebendiges Haus vorweisen könne. Es gehe aber auch darum, Mittel für Forschungsprojekte zu sammeln, denn da sei regional noch viel zu tun. Mitte 2024 soll das Haus fertig umgebaut und eingerichtet sein. (RD)